Vom Tabuthema zum offenen Umgang mit Stottern
Mein Stottern war lange Zeit ein riesiges Tabuthema für mich. Über die Jahre habe ich verschiedenste Strategien und Tricks entwickelt, um mein Stottern zu verstecken. Ich wurde so gut darin, dass die wenigsten während meiner Schulzeit überhaupt wussten, dass ich stottere. Sei es durch das Benutzen von Füllwörtern, das blitzschnelle Umstellen von Wörtern oder ganzen Sätzen. In vielen Situationen gelang es mir so gut, mein Stottern zu verbergen und als Flüssigsprecher durchzugehen.
Der Nachteil am Vermeidungs- und Umgehungsverhalten war, dass ich oft nicht genau das sagen konnte, was ich eigentlich wollte. Oft mied ich bestimmte Situationen komplett und sagte lieber gar nichts, anstatt die Reaktionen anderer auf einen Block auszuhalten. Ich entwickelte zunehmend Ängste vor bestimmten kommunikativen Situationen und phasenweise auch generelle Sprechangst. Wenn es sich nicht mehr vermeiden ließ, war das Stottern auch häufig schwer. Sei es bei Vorstellungsrunden, Reihum-Lesen, Referaten oder der Passkontrolle vor dem Fußballspiel. Die Scham, Peinlichkeit, Anspannung, Unsicherheit und Machtlosigkeit, die ich in solchen Momenten spürte, wollte ich tunlichst umgehen. Negative Gedanken, wie, was andere wohl über mich denken, oder ich sei Schuld daran, kamen hinzu. Zu schweigen war deshalb oft einfacher, als mich als Stotterer zu outen. Von Leuten, die mich nicht näher kannten, wurde ich auch schon als schüchtern, sehr introvertiert, desinteressiert oder arrogant eingeschätzt. Mein Umgang mit dem Stottern stand mir in vielen Situationen lange Zeit einfach zu sehr darin im Weg, so sein zu können, wie ich bin und wie ich sein möchte.
Die goldene Kombi aus Selbsthilfe und Therapie
Im Zuge einer Therapie nach dem Abi begann ich meine Einstellung langsam zu überdenken. Ich lernte intensiv eine neue Sprechtechnik, die es mir ermöglichte in vielen Situationen flüssig, wenn auch etwas auffälliger zu sprechen. Dafür konnte ich aber ohne Anspannung genau das sagen, was ich wollte. Ich entwickelte zum ersten Mal so etwas wie Freude am Sprechen und merkte, dass ich eigentlich ganz gerne und auch viel rede. In anderen Situationen funktionierte die Sprechtechnik leider nicht so gut oder sie war schwer praktikabel. Außerdem hatte ich mein Stottern noch nicht akzeptiert, geschweige denn mich damit identifiziert.
Deshalb verspürte ich den Drang nochmal etwas anderes auszuprobieren. So begann ich während meines Studiums nicht nur eine weitere Therapie, sondern kam auch zur Flow Selbsthilfegruppe in Heidelberg. Zu sehen wie offen, locker und selbstbewusst andere Stotternde mit ihrer Symptomatik umgehen, und festzustellen, dass es nicht schlimm, sondern ganz normal ist zu stottern, beeindruckte und motivierte mich zugleich, selbst diesen Umgang anzustreben.
Schritt für Schritt sich dem Stottern und den damit verbundenen Emotionen zu stellen und über Jahre antrainiertes Vermeidungsverhalten abzulegen, ist für mich alles andere als leicht und erfordert viel Mut – auch heute noch. Intensiv an der vermeintlichen Schwäche zu arbeiten, lässt mich aber auch wachsen, macht mich stärker und lässt mich Dinge tun, die ich mir früher nicht ansatzweise zugetraut hätte. Zwar bin ich noch nicht so weit, dass ich immer offen und selbstbewusst mit meinem Stottern umgehe, aber ich glaube, ich bin auf einem guten Weg dahin. Sonst würde ich auch nicht diesen Text hier veröffentlichen. :)
Foto: David Lemanski
Geht ihr offen mit eurem Stottern um?
Schreibt es mir gerne unter meinem Erfahrungsbericht auf eeeisbrecher in die Kommentare!
Alles Liebe,
Jacob aus Heidelberg
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Jacob aus Heidelberg
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